Selbsterfüllende Prophezeiungen
(auch Rosenthal-Effekt) Dies ist der Prozeß, bei welchem die Erwartungen eines Individuums in bezug auf eine Person schließlich dazu führen, daß sich dieser Mensch, wie erwartet, verhält.
Im Jahre 1948 erzählte der Soziologe Robert Merton eine Geschichte über Cartwright Millingville, den Präsidenten der Last National Bank während der Depression. Obwohl die Bank solvent war, verbreitete sich ein Gerücht, demzufolge die Bank vor dem Abgrund stand. Innerhalb von Stunden standen Hunderte von Kunden an, um ihr Erspartes abzuheben, bevor es zu spät war. Es blieb bei dem Gerücht, aber die Bank ging im weiteren Verauf pleite.Anhand solcher Geschichten stellte Merton die unverschämte Hypothese auf, daß eine Katastrophe eintreffen kann, weil man sie befürchtet, ein Fall von „self-fulfilling prophesy“.
Diese Hypothese „ging verschütt“, bis Robert Rosenthal und Leonore Jacobson (1968) eine Untersuchung mit dem Titel „Pygmalion im Klassenzimmer“ veröffentlichten. Unter dem Eindruck, daß Lehrer von besseren Schülern Besseres erwarteten, fragten sie sich, ob Lehrer-Erwartungen die Leistungen der Schüler beeinflußten oder ob das Gegenteil der Fall war.
Um der Sache auf den Grund zungehen, teilte man Lehrern der San Francisco elementary school mit, daß bestimmte Schüler im Begriff waren, sich intellektuell sprunghaft zu entwickeln. Man zitierte IQ-Testergebnisse, aber in Wirklichkeit waren die Schüler rein zufällig ausgewählt worden. Acht Monate später wurden tatsächliche Tests ausgewertet. Die „Spätzünder“ – und nicht die Schüler einer speziell zusammengestellten Kontrollgruppe – verbesserten ihren IQ um nicht weniger als 3o Punkte. Auch ihre Klassenlehrer sprachen sich lobend aus.
Als die „Pygmalion-Untersuchung“ erstmals veröffentlicht wurde, bereitete sie einigen Ärger. Wenn positive Lehrer-Erwartungen Schülerleistungen verbessern kann, können dann nicht negative Erwartungen das Gegenteil bewirken? Können vielleicht Kinder reicher Eltern von vornherein zum Erfolg bestimmt, benachteiligte Kinder zum Scheitern verurteilt sein, weil Lehrer unterschiedliche Erwartungen hegen? Viele Forscher blieben skeptisch, was diese Untersuchung betraf und skeptisch gegenüber derartigen Ergebnissen ganz allgemein.
Leider kann man diese Entdeckungen nicht einfach unter den Teppich kehren. Lehrer haben zu Beginn eines Schuljahres ihre Erwartungen, die sich aus dem „Background“ des Schülers ergeben: Ruf, äußere Erscheinung, anfänglichen Leistungen, IQ-Tests. Lehrer ändern ihr Verhalten gegenüber dem Schüler dementsprechend. Bei eher hohen Erwartungen widmen sie dem Schüler mehr Aufmerksamkeit, gehen sie emotional auf ihn ein, geben sie ihm anspruchsvollere Hausaufgaben und spenden sie Lob. In mancher Beziehung kann man von Erwartungen auf Fachleistungen (academic performance) schließen, denn der erste Eindruck des Lehrers bestätigt sich oft, was die Fähigkeiten des Schülers betrifft (Jussim, 1989). Dennoch muß man zugeben, daß Lehrererwartungen – selbst wenn sie für Versuchszwecke von Wissensschaftlern konstruiert worden waren – Schülerleistungen signifikant beeinflußten (in 36% der 400 Fälle, die herangezogen wurden, um diese Hypothese.unter Beweis zu stellen) (Rosenthal, 1985).
Übrigens: Schülererwartungen in bezug auf den Lehrer können ähnliches bewirken. Als man zwei High-School-Klassen glauben machte, daß ihr neuer Englischlehrer hochangesehen sei, warten sie im Unterricht merklich aufmerksamer, und die Endergebnisse waren besser (Jamieson, 1987).
Self-fulfilling prophecies erfüllen sich aber auch außerhalb des schulischen Bereichs., in der Geschäftswelt und beim Militär. 29 Kompanien des israelischen Heeres, zusammen eintausend Mann waren das Ziel einer Untersuchung. Dov Eden (1990) teilte einigen, – jedoch nicht allen – Kompaniechefs mit, daß sie eine besonders fähige Kompanie zur Ausbildung erhalten würden. In Wirklichkeit waren die Rekruten vom guten Durchschnitt. Nach zehn Wochen erreichten die Rekruten, die den Kompanien mit angeblich hohem Erwartungspotential zugeteilt worden waren, bei den schriftlichen Prüfungen und bei der Übung im Umgang mit Waffen bessere Ergebnisse als der Rest der Rekruten.
Wie funktioniert der „Pygmalion-Effekt“? Wie setzen „social perceivers“ Erwartungen in Tatsachen um? Die Forschung läßt darauf schließen, daß man die self-fulfilling prophecy als einen Dreistufenprozeß sehen sollte. Auf der ersten Stufe gewinnt der Perceiver einen Eindruck von der Zielperson. Dieser Eindruck kann das Ergebnis erster Interaktionen zwichen Perceiver und Zielperson sein, kann aber auch nur auf Hörensagen beruhen. Auf der zweiten Stufe verhält sich der Perceiver auf eine Art und Weise, die diesem ersten Eindruck entspricht. Die Zielperson paßt ihr Verhalten unbewußt den Erwartungen (?) (actions!) des Perceivers an. Sowohl innerhalb wie außerhalb des Klassenzimmers ist die self-fulfilling prophecy ein auffallendes (powerful) Phänomen (Cooper & Good, 1983; Darley & Fazio, 1980; Harris & Rosenthal, 1985).
Im Teufelskreis der sfp ist es schwierig, den Finger auf die Wunde zu legen: Beruhen die Erwartungen des Individuums auf dem Verhalten der Zielperson, oder ist umgekehrt das Verhalten der Zielperson durch die Erwartungen des Perceivers bedingt?
Versuchen wir also, Klarheit in die Sache zu bringen. Es wäre ein trauriger Schluß, anzunehmen, daß jeder von uns durch die Wahrnehmungen anderer dermaßen manipuliert (molded) werden kann, daß er brilliant oder blöde, introvertiert oder extrovertiert, streitsüchtig (competitive) oder kooperativ , warmherzig oder kalt erscheinen kann. Es gibt zwar diese Wechselwirkung, aber.glücklicherweise gibt es dabei auch Grenzen. Wenn wir die sfp als einen Dreistufenprozeß verstehen, entdecken wir in der Kette zwei Glieder, die wir aufbrechen können, um zu vermeiden, daß wir in den Teufelskreis geraten, wie dies oft der Fall ist.
Wie verhält es sich auf der ersten Stufe, dem Bindeglied zwischen unseren Erwartungen und unserem Verhalten gegenüber der Zielperson. In vielen Untersuchungen interagieren Perceivers mit der Zielperson „nur so nebenbei“ (on only a casual basis). Sie wollen sich eigentlich gar kein genaues Bild machen.
Wenn Individuen jedoch hoch-motiviert sind, die Wahrheit herauszubekommen – wenn sie beispielsweise in der Zielperson einen möglichen Mitspieler in der Mannschaft oder einen zukünftigen Gegner sehen – dann fangen sie an zu bohren. Auf der Suche nach Bestätigung stellt sich dann heraus, daß sich die Erwartungen eben nicht bestätigen (Darley & el., 1988; Hilton & Darley, 1991). Vorgewarnt, daß jemand muffig ist, geben sich Perceivers beispielsweise große Mühe, besonders nett zu sein, um sich zu beweisen, daß man vielleicht unrecht hat (Ickes et al., 1982)
Auf der nächsten Stufe geht es um das Bindeglied zwischen dem Verhalten eines Perceivers und der Reaktion (response) der Zielperson. In der Forschung wie oft auch im Leben sind sich Zielpersonen der falschen Eindrücke, die sie erwecken, nicht bewußt. So ist kaum anzunehmen, daß Rosenthals und Jacobsons „Spätzünder“ wußten, daß ihre Lehrer hohe Erwartungen in sie setzten. Es ist unwahrscheinlich, daß Snyders und Swanns introvertierte und extrovertierte Versuchsobjekte von der falschen Prämisse (misconception) ihrer Interviewer wußten. Aber wenn sie es nun doch wußten? Wie würde der Leser reagieren, wenn er herausbekäme, daß man ihn in schiefes Licht setzt? Als in einem Versuch gerade dies geschah, gelang es ihnen, die sfp abzuwenden: Sie brachten die Perceivers dahin, ihre Anfangserwartungen fallen zu lassen (Hilton & Darley, 1985). Der mag Leser sich an die Diskussion erinnern, in der es im 2. Kapitel um die „self-verification“ ging. Obiges geschieht, wenn unsere Erwartungen mit der Selbsteinschätzung der Zielperson kollidieren. Das heißt, als Zielpersonen, die sich für extrovertiert hielten, von Perceivern interviewt wurden, die sie für introvertiert hielten, änderten sich „perceiver beliefs“ (änderten die wahrnehmenden Personen (die Interviewer) die Vorstellung, die sie von der Zielperson hatten). Das Verhalten der Zielperson änderte sich nicht (Swann & Ely, 1984). Man halte fest, daß die Personen, die wir wahrnehmen, ihrer eigenen sfp gerecht werden müssen.
Wie verwandeln wir unsere Erwartungen in Wirklichkeit?
- 1. Ein Perceiver hat Erwartungen bezüglich einer Zielperson.
- 2. Deeer Perceiver verhält sich gemäß diesen Erwartungen.
- 3. Die Zielperson paßt unbewußt ihr Verhalten dem Vorgehen (actions) des Perceivers an.