Arnim, Lahmann, Johnen – Subjektive Anatomie – Theorie und Praxis körperbezogener Psychotherapie – Schattauer – Rezension

Das Sachbuch „Subjektive Anatomie – Theorie und Praxis körperbezogener Psychotherapie“ rund um das Autorenteam Angela von Arnim, Claas Lahmann und Rolf Johnen ist in 3. Auflage im Jahr 2022 im Schattauer-Verlag, Stuttgart, erschienen. Das Autorenteam besteht aus Fachärzten und Fachärztinnen unter anderem auf den Gebieten der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie, darüber hinaus Körperpsychotherapeut*innen aus dem Bereich der Funktionellen Entspannung und der Konzentrativen Bewegungstherapie.

Inhaltlich gibt das Buch einen Überblick und eine theoretische und praktische Einordnung über Thema der sogenannten subjektiven Anatomie. Zu Beginn fällt der bereits provokant klingende Titel „subjektive Anatomie“ auf. Die Autorinnen und Autoren beziehen sich in dem Buch auf eine subjektive Wahrnehmung der eigenen, individuellen Anatomie. Grob lässt sich das Buch in drei Teile anordnen. Der erste Teil des Buches bildet die theoretische Grundlage. Anfangs geht das Autorenteam auf verschiedene „Körpermodelle“ ein, die im Laufe der Zeit entstanden sind. Ein „offizielles“, der Medizin zugeschriebenes, und ein „inoffizielles“, ein Modell, das dem Individuum zugeschrieben wird. Die Autorinnen und Autoren gehen darauf ein, welche Charakteristika und Besonderheiten die beiden „Körpermodelle“ beschreiben und welche (psycho-)pathologischen Symptome und Störungsbilder eine Separation des Körperempfindens hervorrufen kann. Eine Metapher eines Schattens steht sinnbildlich für die Auswirkungen der beiden „Körpermodelle“. Im Buch wird immer wieder Bezug auf die Metapher des Schattens genommen, sodass die lesende Person Vergleiche und Beispiele bekommt, welche Folgen eine andere (oder verzerrte) Körperwahrnehmung als die eigene subjektive Wahrnehmung haben kann. Im Verlauf des Buches wird die Methode der „Funktionellen Entspannung“ vorgestellt, mit der psychosomatische Beschwerden und Störungen und die verzerrte Körperwahrnehmung behandelt werden können. Begleitend stellen die Autorinnen und Autoren Fallbeispiele aus der (körper-)psychotherapeutischen Praxis zu Verfügung. Die Fälle dienen den Leserinnen und Lesern als Einblick und nach den durchaus anspruchsvollen Ausführungen als greifbare Beispiele. Klar wird hier, wie tief der Inhalt des Buches reichen kann: Es wird von Patientinnen und Patienten berichtet, die wegen (psycho-)pathologischer Störungsbilder eine Psychotherapie aufsuchen oder ihnen angeraten wird. Das, was die Menschen dort aber auf körperlicher oder Verhaltensebene zeigen wird in dem Buch Schritt für Schritt auf dessen psychodynamische Ursachen und Entwicklung analysiert. Alles wird stets unter Berücksichtigung der Entwicklung von Körper und Psyche als Zusammenspiel und Ganzheit beschrieben.

Also ist es nur zu naheliegend, dass auf die kindliche Entwicklung eingegangen wird und wie sich der technologische Fortschritt auf das sogenannte Körper-Selbst entwickelt. Während mit dem „Selbst“ ja psychologisch gemeint ist, wie ein Mensch sich selbst als Persönlichkeit, als autonom und ganzheitlich wahrnimmt, gehen die Autor*innen davon aus, dass ein Teil dieses Selbst das Körper-Selbst bildet. Hiermit ist also gemeint, wie der Mensch sich und seinen Körper als Einheit, Ganzheit, autonom empfindet und erlebt. Die technische Welt beeinflusst wiederum nach Ansicht der Autor*innen die Entwicklung des Körper-Selbst sowohl förderlich als auch hinderlich. Hier wird Fragen nachgegangen wie etwa: wie die Entwicklung eines Kindes beeinflusst wird, wenn es ständig neuen technologischen Reizen und Inputs konfrontiert wird, wenn es vor das TV-Gerät gesetzt wird, um still zu sein oder auch, wie viel ein Kind in solch einer technologischen Welt erfahren und erleben kann. Dass sich mit dem technologischen Fortschritt auch (psycho-)pathologische und psychosomatische Symptome wandeln, das liegt nahe. Die Gesellschaft und mit ihr die Familie – und umgekehrt – ändert sich und somit auch der Ausdruck von Störungsbildern. Als Beispiel: „Klassische“ Neurosen wie Zwänge und Phobien scheinen in den Hintergrund zu treten, während einige Persönlichkeitsstörungen viel mehr in den Vordergrund rücken. Erklärung für die Entwicklung und den Wandel stellen die Autor*innen in dem Buch bereit.

Die Autor*innen gehen genau dieser Dynamik weiter auf den Grund. Sie beschreiben eine Variante der Medizin, die unterstützend auf die Entwicklung eines Körper-Selbst und der Wahrnehmung und Beschreibung von Körpersensationen wirken kann. Letztlich ist das Körper-Selbst autonom, es handelt also eigengesetzlich. Je mehr Kontrolle und Zwänge auf den autonomen Menschen „einprasseln“, umso mehr zieht er sich in Autarkie zurück: also in eine Unabhängigkeit von anderen. Genau das ist aber der Trugschluss, den die Autor*innen verdeutlichen: Erst in einer gesunden, rückmeldenden Umwelt kann der Mensch der Autonomie fähig sein. Zunehmend wird klar, wenn man das Buch liest, dass psychologisches und/oder psychotherapeutisches Hintergrund- und Fachwissen eine sinnvolle Voraussetzung für das Verständnis des Buches darstellt. Die Autor*innen gehen auf entwicklungspsychologische Themen in Verknüpfung mit System- und Zeichentheorie ein. Es wird ein Bild einer Entwicklung des Kindes und des Körper-Selbst des Kindes gezeichnet, welches durchaus abstrakt, aber vor allem erhellend wirken kann. Die Entwicklung wird weiterhin im Buch sehr detailliert beschrieben: pränatale Entwicklung und Auswirkungen der Umwelt auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes wird genauso berücksichtigt wie das Zusammenspiel von Atmung, erstem Schrei und dessen Ursache und Wirkung als Rückmeldung für das Kind. Aus dieser eigenen Rückmeldung entsteht so wiederum das eigene Selbst, bzw. das Körper-Selbst. Hier wird verdeutlicht, wie im Verlauf der frühen Entwicklung (psycho-)pathologische Störungen entstehen können, bzw. wie eine gesunde Entwicklung ablaufen kann. Hinzu kommen letztlich die Bedürfnisse, die sich mit dem Selbst und der Umwelt verwickeln. Die Autor*innen schaffen es in diesem Buch, eine Dynamik der Entstehung eines (Körper-)Selbst zu beschreiben, um eine Grundlage für das Verständnis von subjektiver Anatomie und der Methode der Funktionellen Entspannung zu erzeugen. Zudem wird eine andere Sicht auf Leben präsentiert: Leben wird hier als rhythmischer, fließender, autonomer und von der Umwelt abhängiger „Vorgang“ beschrieben. Leben braucht Umwelt, um sich entwickeln zu können. Die Umwelt soll dabei so autonom und nicht rigide sein, um eine fließende und gesunde Entwicklung zu ermöglichen.

Im zweiten Teil des Buchen wird die Methode Funktionelle Entspannung nach Marianne Fuchs vorgestellt. Die Autor*innen gehen auf Gründungsgeschichte, Wirkfaktoren von Psychotherapie und Körperpsychotherapie ein, genauso wie ein Ablauf einer Sitzung mit Funktioneller Entspannung und welche Interventionen wie wirken können. Viele Quellen und Belege sind auf die 1990er oder 2000er Jahre datiert. Interessant wäre hier ein noch stärkerer Fokus auf die jüngere und jüngste Forschung zu diesem bemerkenswerten Thema. Den Abschluss bilden sechs umfangreiche Fallgeschichten, die den Einblick in die subjektive Anatomie und die Methode der Funktionellen Entspannung abrunden.  Die abstrakte Theorie aus dem ersten Teil des Buches erfährt hier zum Schluss noch einen praktischen Transfer, sodass die Möglichkeiten und die therapeutische Anwendbarkeit der Funktionellen Entspannung abschließend deutlich werden.

Meines Erachtens ist dem Autorenteam die Darstellung eines weniger beachteten Themas gelungen: der Entwicklung des Selbst, im Besonderen: des Körper-Selbst. Wenn auch zugegebenerweise das Lesen und Bearbeiten des Buches einfacher erfolgt, wenn bereits Vorwissen über psychologische, systemische und psychotherapeutische Grundlagen und Theorien besteht, so wird dennoch ein Bild gezeichnet, was lange eher im Hintergrund behandelt zu sein schien. Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass oft eine Lücke im eigenen Erleben und der Wahrnehmung vorzufinden ist: Das Wechselspiel zwischen Psyche und Körper und deren dynamischer Ent- bzw. Verwicklung. Ein neues oder anderes Bewusstsein oder Wahrnehmen der Zeichen unseres Körpers und deren Verbalisierung kann als ein Appell oder eine Einladung dieses Buches verstanden werden.  Personen aus psychotherapeutischen Formaten, aber auch aus Beratung und Coaching kann nach jetziger eigener Schlussfolgerung gut daran getan sein, die Körpersensationen der Klientinnen und Klienten zu berücksichtigen, die zu ihnen kommen und Unterstützung benötigen. Allerdings: Hier ist ein eigener Zugang zu den Körpersignalen und Selbsterfahrung vonnöten, denn die Personen im psychotherapeutischen, beraterischen oder Coaching-Kontext bilden ja ein System. Die Signale werden von den Personen aufgenommen und verwertet und im empathischen Kontakt zurückgegeben. Das Bedarf einer eigenen Bewusstheit über die individuelle subjektive Anatomie.

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